Live vor Ort


PRESSEKRAFT – Der Schwedenreport

Das Beweisphoto vom Handy

UFC Stockholm hat Geschichte geschrieben: Rund 30.000 Fans versammelten sich in der tele2 Arena – eine Zuschauerzahl, die bisher in der Geschichte der UFC nur ein einziges Mal übertroffen werden konnte. Grund genug also, die Veranstaltung genauer unter die Lupe zu nehmen. SCHLAGKRAFT war in Form von Jonas vor Ort. Hier ein paar Eindrücke:

Die ersten beiden Kämpfe des Abends unterstrichen eindrucksvoll den Unterschied zwischen Flyweights und Heavyweights. Neil Seery und Chris Beal lieferten sich ein packendes und technisch anspruchsvolles Duell auf Augenhöhe, das Seery letztendlich durch sein besseres Grappling (auch vom Rücken) und Boxen für sich entscheiden konnte. Auch außerhalb der Top 15 ist die Gewichtsklasse absolut sehenswert und garantiert gute und actionreiche Kämpfe. Viktor Pesta vs. Konstantin Erokhin hingegen war ein Trauerspiel. Erokhin kam mit einigen Vorschusslorbeeren in die UFC und ist bekannt für seine brachiale Schlagkraft (…), welche er in den ersten Minuten auch eindrucksvoll demonstrierte. Viele Kommentatoren hatten aber schon im Vorfeld angemerkt, dass seine Fähigkeiten davon abgesehen begrenzt und seine Ausdauer zudem schwach sei, und dies sollte sich bewahrheiten. Pesta konnte den Kampf durch wiederholte Takedowns und Top Control für sich entscheiden, während Erokhin größtenteils den Betrieb einstellte. Der Kampf verlief ab Runde 2 in einem quälend langsamen Tempo und man muss den Fans in der Halle die ausbleibenden Pfeifkonzerte zu Gute halten.

Danach folgten zwei sehr einseitige Ansetzungen, was sicherlich auch der Tatsache geschuldet war, dass beide Verlierer kurzfristig eingesprungen sind. Das hochgelobte Talent Mirsad Bektic, der ursprünglich gegen den Deutschen Alan Omer antreten sollte, konnte den Vorschusslorbeeren gerecht werden und dominierte Paul Redmond nach Belieben. Insbesondere Bektics Ringen und Top-Control, sowie sein Ground and Pound aus der Guard waren beeindruckend. Mit diesen Fähigkeiten kann Bektic viele Featherweights in der UFC vor große Probleme stellen.
Mairbek Taisumov vs. Anthony Christodoulou war noch einseitiger und im Nachhinein hatte Christodoulou absolut nichts im Octagon verloren – definitiv nicht gegen einen Kämpfer von Taisumovs Niveau, aber vermutlich auch generell nicht in der UFC. Christodoulou wirkte nicht austrainiert und schwach im Stand, wo er von Taisumov spektakulär auseinandergenommen wurde. Dieser Kampf bestätigte erneut, dass Taisumov ein offensiv sehr begabter Kämpfer ist.

Ein frühes Highlight stellte der Sieg von Kult-Kämpfer Nikita krylov über Stanislav Nedkov dar. Krylov sah gut aus, stoppte Nedkovs Takedown-Versuche, setzte Nedkov im Stand hart zu und entschied den Kampf schliesslich per Standing Guillotine. Damit hat sich Krylov allen Unkenrufen zum Trotz in der Gewichtsklasse etabliert.

Das Objekt der Begierde

Ein weiteres Highlight war der Auftritt von „Mr. Finland“ Makwan Amirkhani, der nahtlos an die von Maximo Blanco in Berlin geleistete Vorarbeit anknüpfte und die Handaxt Andy Ogle in nur acht Sekunden ausknockte. Blanco hatte Ogle damals mit einem eingesprungenen Front Kick nach zwei Sekunden Kampfzeit überrascht und fast gefinisht. Amirkhani hingegen wählte ein Flying Knee, gefolgt von einem perfekt getroffenen Uppercut, und konnte im Gegensatz zu Blanco den Sack zumachen. Die Halle stand absolut Kopf für den spektakulären und charismatischen Finnen, was Joe Rogans Entscheidung, das Interview nach dem Kampf komplett seiner Kritik an einem angeblich zu frühen Kampfabbruch zu widmen, noch unbegreiflicher machte. Die Zuschauer in der Halle konnte Rogan damit jedoch nicht überzeugen.

Die letzten zwei Vorkämpfe konnten ebenfalls überzeugen. Der US-Amerikaner Kenny Robertson, der bisher fast ausschließlich durch sein kreatives Grappling auffiel, zeigte eine neue Facette seiner Kampfkünste und konterte einen wilden Tritt von Sultan Aliev mit einem spektakulären KO. Zu guter Letzt lieferten sich Lokalmatador Nico Musoke und albert Tumenov eine packende Schlacht über drei Runden. Musoke konnte die erste Runde klar gewinnen, aber danach nahm sein dagestanischer Gegner die Zügel in die Hand und konnte den Kampf verdientermaßen für sich entscheiden.

Nach einer langen Pause ging es dann gegen 2:15 in der Nacht mit dem ersten Kampf auf der Main-Card los, die live auf FOX ausgestrahlt wurde. Sam Sicilia und Akira Corassani lieferten genau das, wofür die beiden Brawler auf die Card gesetzt wurden: Einen kurzweiligen Schlagabtausch, der in einem brachialen Knockout endete. Allerdings war es der Schwede Corassani, der am Ende ein Nickerchen einlegte. Nach dem harten One Punch KO herrschte Totenstille in der Halle.

Über Totenstille hätten sich Ryan Bader und Phil Davis vermutlich gefreut. Stattdessen quittierten die Fans den langatmigen Kampf mit gellenden Pfeifkonzerten. Beide Kämpfer waren ebenbürtig und neutralisierten sich über weite Strecken komplett, sodass es kaum nennenswerte Aktionen gab. Gekoppelt mit der fortgeschrittenen Uhrzeit war die Toleranz der Zuschauer vollends erschöpft. Am Ende gewann Ryan Bader eine Split Decision, die man wohl auch für Davis oder als Unentschieden hätte werten können. Trotz des Sieges über einen Top 5 LHW bekam Bader kein Interview und war auch bei der Pressekonferenz nicht anwesend. Keine drei Sekunden nach der Verkündung des Urteils lief schon ein Anderson Silva Video auf den Leinwänden. Am Ende wollten offenbar sowohl Fans als auch die UFC selber diesen Kampf so schnell wie möglich vergessen.

Zum vorletzten Kampf des Abends habe ich eine klare Meinung: Ich will Dan Henderson nicht mehr kämpfen sehen. Natürlich kann (und will!) ich diese Entscheidung nicht für ihn treffen, aber als Zuschauer will ich persönlich ihn nicht mehr sehen. Hendo ist eine absolute Legende, einer der besten Kämpfer aller Zeiten, und Kämpfe wie diesen empfinde ich als zutiefst deprimierend. Sein Alter sieht man ihm mittlerweile deutlich an, sein Repertoire wird immer begrenzter und durchschaubarer, und er steckt in jedem Kampf viel ein. Über den Kampfabbruch gab es wieder Kontroversen, ich fand ihn vollkommen gerechtfertigt. Es wirkte so, als hätte Hendo kurz das Bewusstsein verloren und wäre durch Folgeschläge wieder aufgewacht. Durch die unglückliche Intervention des Schiedsrichters, durch die Mousasi um- und Hendo quasi auf ihn drauffiel, wurde der negative Eindruck sicher noch bestärkt. schade um Mousasi, dessen gute Leistung dadurch total unterging und der sogar in der Arena ausgebuht wurde.

Eine Flagge und das UFC Logo

Die Stimmung beim Hauptkampf war absolut fantastisch, hielt aber nicht lange, denn auch der dritte Schwede verlor klar. Und an eine Sache muss immer wieder erinnert werden: Anthony Johnson war mal Welterweight. Nicht immer, aber manchmal, und das wirkt heute absolut unvorstellbar. Damals wurde er von der UFC gefeuert, weil er sein Gewicht nicht unter Kontrolle bekommen hat, und seine Karriere stand auf der Kippe. Aber seit seiner Rückkehr im LHW ist er ein absoluter Weltenzerstörer und hat hier die klare #2 der Welt auseinandergenommen und damit die Hoffnungen der schwedischen Fans in dieser
Nacht komplett zerstört. Die Atmosphäre in der Halle war unbeschreiblicher, von unglaublichem Enthusiasmus, zu Sorge, Angst, Verzweiflung, und letztendlich der traurigen Gewissheit. Danach leerte sich die Arena in unglaublicher Geschwindigkeit, aber immerhin wurde der traurige Gustafsson von den verbliebenen Fans dennoch frenetisch gefeiert.

Damit endete eine denkwürdige Veranstaltung vor toller Kulisse. Die Show hatte vieles zu bieten – ein paar tolle Kämpfe und Momente, aber auch ein paar Stinker und Squash-Matches. Für den schwedischen Markt waren die Ergebnisse sicher suboptimal, aber mit Anthony Johnson wurde dafür eine neuer glaubhafter amerikanischer Herausforderer für Jon Jones etabliert. Die schwedischen Fans bekamen eine für europäische Verhältnisse sehr gute Card, mussten dafür aber die Nacht zum Tag machen. Dafür lief diese Show auch im wichtigsten Markt der UFC in der Primetime auf der größten Plattform, ging aber was die Vermarktung angeht gefühlt etwas unter im Vergleich zur Conor McGregor Show der vorherigen Woche. Unterm Strich kann man diese Show wohl als Experiment begreifen. Auf den Ausgang und die weitere Entwicklung bin ich sehr gespannt.

Man war auch auf der Pressekonferenz, aber das ist nicht erwähnenswert